Giraffensprache – Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Giraffensprache - Gewaltfreie Kommunikation

Gewaltfreie Kommunikation, wertschätzende Kommunikation oder auch Giraffensprache: was finde ich so toll daran? Was fasziniert mich so sehr daran? Und was hat das ganze mit  Gefühlen und Bedürfnissen zu tun? Gewaltfreiheit – im Sinne von Mahatma Gandhi bedeutet Freiheit von Gewalt. Damit ist aber nicht nur körperliche Gewalt gegen andere Menschen gemeint, sondern Gewalt in jedem nur erdenklichen Sinn:  Ausbeutung und Diskriminierung von Menschen, Ausbeutung von Tieren, Ausrottung von Wäldern, die Vermüllung der Ozeane, und so weiter. Alles, weshalb Menschen oder Tier oder die Natur leiden, hat  etwas mit Gewalt zu tun. So existiert Gewalt auch in der Sprache, wenn wir etwa an Mobbing in der Schule oder die Diskriminierung von Immigranten denken. Aber du kann bei dir selbst anfangen. Wo ist deine Sprache gewaltvoll? Wann hast du zuletzt deine Kinder angeschrien? Wann hast du dich zuletzt mit deinem Partner gestritten?

Gewalt existiert auch in der Sprache

Mit der Gewalt in der Sprache beschäftigte sich Dr. Marshall B. Rosenberg und entwickelte in den 1960er Jahren die Gewaltfreie Kommunikation. Ich nenne gewaltfreie Kommunikation am liebsten achtsame Kommunikation. Denn der Vier-Schritte-Prozess,  über den ich hier schreibe, ist ein achtsamer. In allen Schritten geht es um genaues und bewusstes Beobachten und um Klarheit. Das sind für mich wichtige Aspekte der Achtsamkeit. Weil ein empathischer und wertschätzender Umgang im Konfliktfall angestrebt wird, wird auch oft von wertschätzender Kommunikation gesprochen. Warum gewaltfreie Kommunikation auch Giraffensprache heißt, wird später klar werden.

Vier achtsame Schritte zur Lösung

Die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg ist zweierlei. Man macht sich zunächst über vier Schritte bewusst, wie es einem in einer bestimmten Situation geht und was man will.

  1. Beobachten, ohne zu bewerten
  2. Gefühle erspüren
  3. Bedürfnisse definieren
  4. Eine Bitte formulieren

Gewaltfreie Kommunikation: Empathisch, klar, wertschätzend

Die vier Schritte sind wiederum ein Hilfsmittel, um sich klar, empathisch und wertschätzend auszudrücken. Aber die vier Schritte sind wirkungslos, wenn ich die liebevolle, achtsame Haltung der gewaltfreien Kommunikation nicht verstehe. Damit das klarer wird, machen wir einen Ausflug in die Tierwelt.

Welches Tier hat den besten Überblick und das größte Herz?

Richtig! Die Giraffe!

Um die Gewaltfreie Kommunikation griffiger und leichter verständlich zu machen, benutzte Marshall B. Rosenberg in seinen Seminaren Handpuppen. Die Giraffe steht für die wertschätzende, offene und interessierte Haltung, die ich einem Gesprächspartner gegenüber einnehmen will. Damit schaffe ich die Voraussetzung, dass unsere Kommunikation erfolgreich verläuft und wir zu einer Lösung kommen, die die Bedürfnisse von allen berücksichtigt. Daher wird Gewaltfreie Kommunikation auch oft Giraffensprache genannt.

Giraffensprache sprechen

Dank des langen Halses kann die Giraffe ihre Umgebung von oben weit überblicken. Sie kann sich eine Situation mit Abstand genau anschauen. Das entspricht dem ersten Schritt im Prozess der Giraffensprache: Beobachten ohne zu urteilen. Zuerst schaut die Giraffe, was los ist. Und so langsam fühlt sie ihr Herz. (Es ist deshalb so groß, weil es das Blut bis in den Kopf pumpen muss.) Der zweite Schritt ist das Wahrnehmen meiner Gefühle in einer spezifischen Situation. Wenn ich nun unangenehme Gefühle fühle, etwa Unsicherheit oder gar Wut. Dann sind das Hinweise auf unerfüllte Bedürfnisse.

Gefühle spüren

Hier ein Beispiel. Stelle dir folgende Situation vor. Es ist Samstag Nachmittag. Gerade hast du es dir auf dem Sofa bequem gemacht. Dann sagt dein Partner oder deine Partnerin zu dir: „Du hast die Milch schon wieder nicht in den Kühlschrank gestellt.“ (Beobachtung)

Welches Gefühle könntest du nun haben? Ich würde mit Sicherheit sauer werden.

Wie würdest du reagieren? Du könntest die Milch einfach wieder in den Kühlschrank stellen. Aber dieser Satz wurmt dich sehr. Daher überlegst du dir warum.

Du denkst daran, dass du heute Morgen schon den Großeinkauf erledigt hast. Danach hast du ziemlich lange gebraucht, um die Wohnung aufzuräumen. Du bist müde und willst Pause machen. Dann hörst du diesen Satz.

Bedürfnisse benennen

Jetzt stelle ich euch ein zweites Tier vor: den Wolf.

Der Wolf verkörpert die Art der Kommunikation, die wir gewohnt sind. Der Wolf ist relativ klein – verglichen mit der Giraffe. Er kann sich die Welt nicht von oben anschauen. Aber er kann laut bellen, Leute sogar anspringen und mit Krallen und Zähnen verletzen.

Wenn du jetzt hörst: „Du hast die Milch schon wieder nicht in den Kühlschrank gestellt.“, dann fängt der Wolf in dir zu knurren an. Er fühlt sich angegriffen, hört Kritik. Du könntest jetzt zum Angriff übergehen und sagen: „Dann räum du sie doch weg.“

Wertschätzende Kommunikation – den Wolf zähmen

Wenn du stattdessen die Haltung der Giraffe einnimmst, könnte sich folgendes abspielen: Du hälst inne. Du spürst den Ärger. Aber du fragst dich, warum dich dieser Satz so sauer macht. Dann könntest du darauf kommen, dass du Respekt (Bedürfnis) für deine Arbeit vermisst. Du fühlst dich nicht gesehen (Bedürfnis). Und das kannst du deinem Partner auch sagen.

Man könnte auch sagen, dass das Erlernen der gewaltfreien Kommunikation bedeutet die Giraffensprache zu lernen. Die Wolfssprache beherrschen wir schon. Das ist die Sprache, die uns „normal“ vorkommt, obwohl sie darauf ausgerichtet ist Angst, Schuld und Scham auszulösen. Wie wertvoll gewaltfreie Kommunikation in der Familie ist, zeigen die Beispiele der Experten, die ich gefragt habe, was das Beste an gewaltfreier Kommunikation ist.

 

Empathie in der Giraffensprache

Ziel der gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg ist es, eine empathische Haltung einzunehmen, aber ohne Verbissenheit. Im Prozess der vier Schritte geht es nicht um schnelle Lösungen. Es geht um das Zuhören. Zuerst höre ich mir selber zu und nehme meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahr und ernst. Das ist für den Anfang schon mehr als genug. Dadurch wirst du offener und liebevoller dir selbst gegegnüber. Wenn du geübt darin bin, deine eigenen Gefühle zu spüren und Bedürfnisse zu benennen, wird es leichter werden, anderen in dem Prozess zu helfen. So ist die Definition von Empathie sein Herz öffnen für sich selbst und andere. Bist du hochsensibel und Mutter? Dann kann Gewaltfreie Kommunikation besonders wertvoll für dich sein, um sichtbarer und hörbarer zu werden und so zu handeln wie du es möchtest.

Über Marshall Rosenberg

Sich die gewaltfreie Kommunikation ausgedacht, weiterentwickelt und verbreitet hat der US-Amerikaner Marshall Rosenberg (1934-2015). Als Kind und Jugendlicher machte Rosenberg selbst prägende Gewalterfahrungen. Drei Fragen beschäftigen Rosenberg schon in seiner Jugend und bildeten später die Grundlage für die gewaltfreie Kommunikation:

  1. Was bringt Menschen dazu, sich gewalttätig und ausbeuterisch zu verhalten?
  2. Warum lassen manche Menschen andere Menschen gerne leiden?
  3. Warum bleiben manche Menschen selbst unter grauenvollen und gewalttätigen Gegebenheiten einfühlsam?

Während seines Psychologiestudiums lernte Rosenberg von  dem Soziologen Michael Hakeem, dass die Strukturen einer Gesellschaft zum Verhalten der Menschen beiträgt. Wesentlich beeinflusst wurde Rosenbergs Arbeit auch von den Erkenntnissen seines Lehrers Carl Rogers, der  die Bedeutung von Empathie, Aufrichtigkeit, Authentizität und Gleichwertigkeit im Therapie-Prozess betonte. Viele Aspekte der Gewaltfreien Kommunikation „hat er von Buddha geklaut“, wie Rosenberg es selbst formulierte. Den Begriff der Gewaltfreiheit übernahm er von Gandhi.

1984 gründete er das „Center for Nonviolent Communication“ (CNVC) in Sherman, Texas, und war viele Jahre als international anerkannter Konfliktmediator, Trainer und Redner tätig.

  • Hallo Regina,
    ich habe Deine Buchempfehlung von Brene Brown gelesen und fand vieles darin sehr hilfreich, auch wenn es für mich sehr amerikanisch aufgezogen ist. Ich habe sogar den Mut gefunden, mich in einer Angelegenheit einer anderen Person zu öffnen, wovor ich mich bisher eher gescheut hatte um mir keine Blöße zu geben. Es ist dabei sehr viel Nähe und Verbundenheit entstanden und ich danke Dir sehr für den Hinweis.