Was ist Empathie? Die liebevolle Haltung der Gewaltfreien Kommunikation

Giraffen symbolisieren Empathie

Was ist Empathie? Früher – also bevor ich Gewaltfreie Kommunikation kannte – hätte ich gesagt, so etwas wie Mitgefühl oder Mitleid oder Gefühle zeigen. Vielleicht hätte ich auch direkt den Duden geholt und nachgeschaut. Empathie ist ein Wort, das ich eigentlich nie verwendet habe. Ich wüsste nicht wann, ehrlich gesagt. Und nun ist Empathie in der Gewaltfreien Kommunikation so wichtig. Denn ohne Empathie und Selbstempathie funktionieren die vier Schritte nicht.

Zuhören wie Momo

Kennt ihr das Buch „Momo“ von Michael Ende? Ein klassisches „Kinderbuch“! Im zweiten Kapitel gibt es eine sehr schöne Beschreibung, was Empathie ist.

„Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten.

Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.

So konnte Momo zuhören!“

Reden lassen

So wie Momo zuhören, wer kann das schon? Das muss einem in die Wiege gelegt werden! Oder etwa nicht? Ich sage nein: du kannst es lernen, wenn du es wirklich willst. Hilfreich dabei ist, dass du Empathie einmal wirklich bewusst erlebt hast, damit du weißt, wie sie sich anfühlt. Vielleicht hast du das sogar schon. Eventuell hast du einen guten Freund oder eine gute Freundin und hast dich nach einem Gespräch endlich mal so richtig verstanden und akzeptiert gefühlt so wie du bist. Dann war das Empathie.

Wichtig bei Empathie ist – und das wird auch in dem Zitat deutlich – dass man den Gesprächspartner reden lässt. Denn dann hat er die Chance, dass ihm Lösungswege einfallen und zwar selber. Bemitleiden, Trösten, Ratschläge geben: all das ist keine Empathie. Redenlassen, aufmerksam zuhören und liebevoll zuwenden ist Empathie.

Ein Bad in Empathie

Ich habe Empathie bewusst in einem Kurs in Gewaltfreier Kommunikation erlebt. Das hört sich jetzt vielleicht konstruiert an, aber so war es. Obwohl ich vorher schon einen Kurs besucht und viel gelesen hatte, habe ich erst in einem weiteren gefühlt, was Empathie ist. Die Trainerin hat das Pferd quasi von hinten aufgezäumt. Statt die Teilnehmer erst mit Theorie zu versorgen und die vier Schritte zu erklären, hat sie uns direkt in der ersten Stunde in ein warmes Empathie-Bad geworfen.

Und das ging so: Wir sollten Dreier-Gruppen bilden. Eine Person sollte über eine Situation aus ihrem Leben berichten, die sie derzeit stark beschäftigt. Die zweite Person sollte erspüren, welche Gefühle und Bedürfnisse die berichtende Person hat. Die dritte Person sollte den beiden beim Gespräch zuhören und sie unterstützen.

Nicht empathische Kommunikation

Verboten bei diesen Gesprächen waren Erzählen von ähnlichen Erfahrungen aus dem eigenen Leben, Abwiegeln, Ratschläge erteilen, Belehren, Trösten, Bemitleiden, Verhören, Erklären, Verbessern, bemitleiden. Denn diese Formen der Kommunikation wirken eher trennend. Schließlich geht es in der GFK um Verbindung. Und daher ist eine empathische Reaktion so wichtig.

Obwohl wir bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Theorie durchgenommen hatten, funktionierte das empathische Zuhören wunderbar. Es war erstaunlich wie verbunden ich mich mit diesen fremden Leuten fühlte. Dadurch, dass wir uns gegenseitig empathisch begegneten.

Einfach, aber doch schwierig

So zeigte sich für mich (einmal mehr), dass gewaltfreie Kommunikation funktioniert und eigentlich ganz einfach ist, aber eben doch schwierig. Einfach, weil man erst mal „nur“ zuhört und die vier Schritte durchgeht. Diese Struktur ist ja sehr klar. Aber schwierig, weil ich etwas ganz anderes gewohnt war – wie die meisten von uns, nehme ich an. Und: Wenn es mir mit gewaltfreier Kommunikation wirklich ernst ist, komme ich nicht daran vorbei, meine Einstellung zu ändern. Ohne die liebevolle, mitfühlende Haltung der Giraffe wirkt gewaltfreie Kommunikation nicht. Sich diese Haltung zu eigen zu machen, ist die Kunst! Aber das lernt man nicht inn einem Seminar.

Es geht nicht um mich

Wenn ich auf mein bisheriges Kommunikationsverhalten zurückblicke, muss ich zugeben, dass ich oft von Erlebnissen aus meinem eigenen Leben erzählt habe, wenn jemand von seinen Sorgen und Problemen erzählte. Ich dachte, dass ich mich selber damit interessanter mache, wenn ich ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Dass ich dadurch nicht auf meinen Gesprächspartner eingehe, war mir gar nicht klar. Schlimmer noch: durch dieses Verhalten dreht sich alles um. Es geht am Ende nur um mich.

Sehr treffend drückt dies Tara Brach, eine amerikanische Achtsamkeits-Trainerin aus:

„Wenn jemand spricht, nutzen wir die meisten Momente dafür zu planen, was wir sagen werden: bewertend, im Versuch uns selbst darzustellen oder die Situation zu kontrollieren. Reines Zuhören bedeutet die Kontrolle aufzugeben. Das ist nicht einfach und braucht Training.“
(aus: Tara Brach, “The Sacred Art of Listening – Nourishing Loving Relationships”, eigene Übersetzung)

Empathie und Selbstempathie

Und was ist jetzt Empathie?

Im Grunde nichts anderes als die Schritte zwei und drei der GFK: Gefühle erspüren und Bedürfnisse definieren.

Wenn ich den Empathie-Prozess für mich selber durchlaufe, gebe ich mir Selbstempathie. Das ist sehr wertvoll, wenn ich keine andere Person habe, der ich von einer belastenden Situation erzählen kann. Empathie gebe ich einem Gesprächspartner oder erhalte sie, wenn wir uns gemeinsam mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Ob ich alleine oder mit Partner bin, sehr hilfreich sind die Gefühlslisten und die Bedürfnisliste. Ich schaue wirklich sehr sehr oft darauf. In jeden Fall ist die Haltung immer aufmerksam und liebevoll. Ich möchte das betonen, weil ich selbst mein härtester Kritiker bin. Und ich glaube, dass es bei vielen anderen genauso ist. Wenn es um einen Gesprächspartner geht, haben meine eigenen Urteile und der Drang mich selbst darzustellen, Pause. Mein Fokus ist ganz auf den anderen gerichtet.

Genau zuhören und sich zeigen

Bei Empathie geht es ums Zuhören – nicht um schnellen Trost oder die sofortige Lösung des Problems. Es geht darum sich zeigen zu dürfen ohne die üblichen Masken, die aufgesetzt werden, wenn ich Kritik erwarte. Das funktioniert mit meiner „Empathie-Partnerin“ sehr gut. Das ist eine Freundin, die ich in einem Kurs für Gewaltfreie Kommunikation kennengelernt habe. Seit mehr als einem Jahr telefonieren wir regelmäßig – leider wohnt sie nicht gerade um die Ecke. Von ihr fühle ich mich ganz und gar verstanden, weil sie mir zuhört ohne zu urteilen und ohne abzuschweifen. Dann darf ich verletzlich sein. Mich zeigen, wie ich wirklich bin mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen fällt mir dann leicht.

 

Gefühle und Bedürfnisse

Nach den Gesprächen fühle ich mich meist leichter, weil ich mit meinem Päckchen Probleme nicht mehr alleine dastehe. Sie sind dadurch nicht gelöst. Aber ich konnte über die Gefühle sprechen, die mit dem Problem verbunden sind. Und ich hatte Hilfe dabei, meine Bedürfnisse im Zusammenhang mit diesem Problem zu sehen.

Ein typischer Satz in den Gesprächen ist: „Fühlst du dich …, weil du …. brauchst?“

Antworten darauf sind etwa: „Ja genau, genauso fühle ich mich. Und brauche ich brauche…..“ Oder: „Nein, so ist es nicht. Es fühlt sich eher so an…“

So versuchen wir uns zu zweit den Gefühlen und Bedürfnissen zu nähern.

Vertrauen und Echtsein

Wenn ich meiner Empathie-Partnerin von belastenden Ereignissen erzähle, fühle ich mich sicher und es fällt mir leicht, mich zu zeigen. Bei Empathie geht es um eine Atmosphäre des Vertrauens und des Authentischseins. Ich will mich nicht verstellen  – nicht cleverer, einsichtiger, fröhlicher, oder was auch immer sein – sondern mich so zeigen, wie ich bin. Und ich möchte auch meinem Gesprächspartner auf diese Weise begegnen, wenn er jemanden zum Zuhören braucht.

Hast du selbst schon Empathie erfahren? Wenn du Fragen hast oder Feedback geben willst, dann nutze die Kommentarfunktion oder schreibe mir über „Kontakt“ direkt eine Mail.

 

  • Gratulation, ein wirklich toller Artikel zu einem (leider) viel zu oft unterschätzen Thema. Das Problem ist (so wie Du es ja im Artikel schon andeutest), dass die meisten Menschen denken das man Empathie per se nicht erlernen kann und sich aus diesem Grund auch nicht weiter mit diesem Thema beschäftigen.
    Du beweist mit Deinem Artikel das Gegenteil und dafür ein großes «Dankeschön»!
    Für mich verhält es sich mit Empathie wie mit einem Muskel. Auch sie muss regelmäßig trainiert werden, um zu wachsen.

    • Hallo Christian,
      Man hört das Wort „Empathie“ derzeit viel öfter als früher. Ich glaube aber, dass die meisten nicht wissen, was das überhaupt ist und wie man es lernt. Du hast Recht: Empathie ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. Gewaltfreie Kommunikation ist das beste Trainingsgerät dafür.